Stellungnahmen

Stellungnahme der Anatomischen Gesellschaft zu Stand und Perspektiven der humanmedizinischen Modellstudiengänge

An den Wissenschaftsrat z.Hd. Professor Dr. Hans-­Jochen Heinze Arbeitsgruppe "Stand und Perspektiven der humanmedizinischen Modellstudiengänge"

Sehr geehrter Herr Kollege Heinze, sehr geehrte Mitglieder der Arbeitsgruppe,

Am 5. Juli 2013 fand eine Anhörung der Fachgesellschaften, die im Vorfeld eine schriftliche Stellungnahme verfasst hatten, durch die Arbeitsgruppe statt. Zu diesen Fachgesellschaften gehörten die Deutsche Gesellschaft für Medizinische Psychologie (DGMP), die Deutsche Physiologische Gesellschaft (DPG) und die Gesellschaft für Biochemie und Molekularbiologie (GBM). Der Anatomieunterricht nimmt eine zentrale Rolle in der Ausbildung der Medizinstudenten ein. Die Anatomische Gesellschaft möchte es daher nicht versäumen, die humanmedizinischen Modellstudiengänge in Deutschland auch mit Blick auf die Besonderheiten des Anatomieunterrichts zu kommentieren.

Die Anatomische Gesellschaft hält in Übereinstimmung mit den anderen Fachgesellschaften der Grundlagenfächer folgende Punkte für besonders bedenkenswert:

  • Der Wegfall des M1-­Examens in fast allen Modellstudiengängen hat zu einem Verlust der Überprüfbarkeit und Vergleichbarkeit der erreichten Lernziele geführt. Es ist zu befürchten, dass der Wegfall des M1-­‐Examens einen Verlust an wissenschaftlich fundierter Ausbildung in den Grundlagenfächern bewirkt. Um einen einheitlichen Leistungsstandard zu gewährleisten, müssen in allen humanmedizinischen Studiengängen bundeseinheitliche Prüfungen zu den Inhalten der Grundlagenfächer abgelegt werden.
  • Die ausgeprägte vertikale und horizontale Vernetzung in den Modellstudiengängen erfolgt auf Kosten der Vermittlung der Grundkonzepte und der Systematik der Grundlagenfächer, die für ein biomedizinisches Bild des Menschen unerlässlich sind. Die Fachdisziplinen der Grundlagenfächer mit ihrer Verankerung in der medizinischen Grundlagenforschung garantieren eine wissenschaftlich orientierte Medizinerausbildung. Dies ist durch eine sorgfältig abgewogene Verzahnung von theoretischen und klinisch-praktischen Inhalten sowie durch einen angepassten fachübergreifenden Unterricht sicherzustellen.

Eine Besonderheit im Fach Anatomie bildet der Kursus der Makroskopischen Anatomie (Präparierkurs). Er ist ein zentrales Element des anatomischen Unterrichts und wird von den Studierenden standortübergreifend als einer der besten Kurse im Studium bewertet. In fast allen Regelstudiengängen wird der Präparierkurs als ein zusammenhängender Kurs über 1-­2 Semester angeboten. Die vertikale und horizontale Vernetzung in den Modellstudiengängen führt zu einer Fragmentierung des Präparierkurses über viele Semester und damit zu seiner faktischen Auflösung. Aufgrund der Fragmentierung wird die Anatomie meist nur in Demonstrationsterminen an der Leiche oder an vorgefertigten Präparaten gelehrt. Eine kontinuierliche Präparation durch die Studierenden findet nicht mehr statt. Das praktische Erarbeiten und "Begreifen" der Anatomie sowie das Verständnis für die Lagebeziehungen der Organe und anatomischen Strukturen zueinander gehen verloren. Gerade die topographische Anatomie bildet eine wesentliche Grundlage für die ärztliche Tätigkeit, beispielsweise in der Chirurgie oder Radiologie. Zusätzliche, in wissenschaftlichen Studien nachgewiesene Effekte des Präparierkurses (z.B. Arbeiten im Team, Auseinandersetzung mit dem Tod) kommen in den Modellstudiengängen ebenfalls nicht mehr zur Entfaltung. Ob die Lehrveranstaltungen der Modellstudiengänge die für das ärztliche Handeln so wichtige, praktische anatomische Ausbildung im Präparierkurs adäquat ersetzen können, darf bezweifelt werden.

Der Vorstand der Anatomischen Gesellschaft bittet die Arbeitsgruppe des Wissenschaftsrates die oben dargelegten Aspekte bei der Evaluation der Modellstudiengänge zu berücksichtigen und steht für Rückfragen gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen,
Der Vorstand der Anatomischen Gesellschaft
Sommer 2013

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